Sexualisierte Gewalt in der Kindheit

Jede sexuelle Handlung durch Erwachsene, Jugendliche oder ältere Kinder, die an oder vor Mädchen und Jungen vorgenommen wird, bezeichnet man als sexualisierte Gewalt. Gemeint ist jede sexuelle Handlung, der Kinder bzw. Jugendliche aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht willentlich zustimmen können.

Wir sprechen von „sexualisierter Gewalt in der Kindheit“ und nicht von „sexuellem Missbrauch“, denn es handelt sich um Gewalt an Körper und Seele, die Spuren hinterlässt, die von Kindern als traumatisierend erlebt wird und vielfältige Probleme zur Folge haben kann. „Sexualisierte Gewalt“ verdeutlicht, dass bei den Taten sexuelle Handlungen dazu benutzt werden, um Macht auszuüben und zu demütigen.

In Deutschland widerfährt etwa jedem 4.- 5. Mädchen und jedem 9. - 10. Jungen unter 18 Jahren mindestens ein sexueller Übergriff. Wenn niemand eingreift, erstreckt sich die sexualisierte Gewalt häufig über viele Jahre.

Sexualisierte Gewalt ist immer Gewalt, auch dann, wenn keine körperliche Gewalt zur Durchsetzung der Interessen des Täters notwendig ist.

Sexualisierte Gewalt findet in einer Atmosphäre von Bedrohung, Kontrolle und Geheimhaltung statt.

In den meisten Fällen erfolgen die Übergriffe durch nahestehende Personen, von denen die Kinder oft abhängig sind. Dies führt zu einer emotionalen Verstrickung der betroffenen Kinder – der Mensch, den sie einerseits mögen/ lieben, fügt ihnen andererseits großes Leid zu. Hinzu kommt, dass die Übergriffe meistens in Isolation stattfinden und die betroffenen Mädchen und Jungen davon ausgehen müssen, sie seien die einzigen denen so etwas zustößt.

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Täterstrategien

Um das Vertrauen der Kinder zu wecken, machen die Täter oftmals Geschenke, behandeln die Kinder bevorzugt oder machen ihnen weitere Beziehungsangebote (z.B. besondere Unternehmungen/ Ausflüge). Der Absicht des Täters entsprechend führt dies häufig dazu, dass die betroffenen Kinder von anderen ausgegrenzt werden.

Täter stellen zu Beginn im Spiel oder beim Sport durch scheinbar zufällige Berührungen Körperkontakt her. Diese Berührungen werden vermehrt sexualisiert und gehen in einem schleichenden Prozess in offen sexuelle Handlungen über.

Diesen Prozess können Kinder nicht durchschauen. Kindern wird eingeredet, dass sie für die sexuellen Übergriffe verantwortlich seien. Sie fühlen sich an das vom Täter auferlegte Schweigegebot gebunden, glauben den Drohungen des Täters und behalten deshalb das „Geheimnis“ für sich. Beispiele für Drohungen: „die Mama wird dir nicht glauben“, „wenn du jemandem davon erzählst, wird etwas Schlimmes passieren“, „die Mama wird krank“, „die Mama kommt ins Gefängnis“, „dann bist du Schuld wenn die Familie kaputt geht“.

Betroffenen Kinder tragen nie die Verantwortung, gleichgültig, inwieweit sie sich in die Handlungen haben verstricken lassen. Verantwortlich ist immer der Täter/ die Täterin.

Als notwendige Überlebensstrategie werden diese Erinnerungen oftmals bis ins Erwachsenenalter verdrängt.

Kinder können sich gegen sexuelle Übergriffe nicht wehren. Wir können Kinder nur schützen, in dem wir ihnen schon früh beibringen, dass „Hilfe holen“ kein „Petzen“ ist und das jeder Mensch immer ein Recht auf Hilfe hat.

Beispiele Sexualisierter Gewalt in der Kindheit

Sexualisierte Gewalt ist es, wenn eine erwachsene oder deutlich ältere Person:

  • Mädchen oder Jungen mit sexualisierten Blicken und/ oder Worten belästigt
  • Mädchen oder Jungen dazu nötigen, sexuelle Handlungen an sich selbst oder der anderen Person vorzunehmen
  • ungewollte Berührungen vornehmen
  • sie auffordert, sich nackt zu zeigen
  • seinen Penis am Körper eines Mädchens oder Jungen reibt
  • mit Mädchen oder Jungen analen, oralen oder vaginalen Geschlechtsverkehr ausübt
  • auch sexualisierte Situationen ohne Körperkontakt, wie z.B. zeigen pornografischer Aufnahmen/Filme oder die Aufforderung, bei solchen Aufnahmen mitzumachen, ist sexualisierte Gewalt

Folgen Sexualisierter Gewalt in der Kindheit

Wie sich sexualisierte Gewalt auf ein Kind auswirkt, ist von mehreren Faktoren abhängig:

  • vom Alter des Kindes
  • vom individuellen Entwicklungsstand
  • vom Verhältnis zum Täter/zur Täterin
  • von der Intensität sexueller Gewaltpraktiken
  • von der Häufigkeit und Dauer der sexualisierten Übergriffe
  • von der Reaktion der Umwelt auf die Signale des betroffenen Kindes
  • von der Reaktion der Umwelt auf die aufgedeckten sexuellen Gewalttaten

Ein unterstützendes Umfeld, dem ein Kind sich anvertrauen kann und das dem Kind Glauben schenkt, ist immens wichtig für die Verarbeitung der Folgen.

Physische und psychische Auswirkungen und Folgen sexualisierter Gewalt können unter anderem sein:

  • Verlust des Grundvertrauens
  • Schuld- und Schamgefühle
  • Ekel
  • Zweifel an der eigenen Wahrnehmung
  • Ohnmacht
  • Rückzug und Isolation
  • Schlafstörungen, Alpträume
  • Konzentrationsstörungen
  • Stimmungsschwankungen
  • Aggressives Verhalten
  • Suizidgedanken
  • Schreckhaftigkeit
  • Essstörungen
  • Depressionen
  • Angststörungen
  • Psychosomatische Symptome
  • Posttraumtische Belastungsstörung
  • Dissoziative Symptome (z.B. Amnesie, Flashbacks, Gefühllosigkeit und Depersonalisation/Derealisation)
  • Alkohol- und/oder Drogenmissbrauch

Was können Betroffene tun?

Wenn Frauen sich als Erwachsene erstmalig anvertrauen und über das in der Kindheit erlebte sprechen, erleben sie häufig, dass ihnen nicht geglaubt wird oder ihnen sogar die Schuld an den Übergriffen zugeschrieben wird. Solche Reaktionen verstärken Scham- und Schuldgefühle und führen dazu, dass sich viele betroffene Frauen zurückziehen und weiter schweigen.

Der Frauennotruf ist ein Ort, an dem Frauen und Mädchen ab 14 Jahren über das lang gehütete Geheimnis sprechen können, wo die ganze Tragweite ihrer Erfahrungen gesehen, sie damit angenommen werden und ihnen geglaubt wird.

Für viele Betroffene ist dies erstmals die Möglichkeit, sich den Erinnerungen zu stellen, mit sehr viel Mut das Schweigen zu brechen und aus der Isolation herauszutreten.

Was können Unterstützer/-innen tun?

Wenn Sie den Verdacht haben, dass einem Kind/ -Jugendlichem sexualisierte Gewalt widerfährt, ist es unerlässlich zunächst Ruhe zu bewahren und nicht in übereilten Aktionismus zu verfallen. Übereiltes und unbedachtes Handeln können zur Folge haben, dass die ohnehin schwierige Lage des Kindes verschärft wird. Ehe Sie z.B. die betroffene Familie, den vermeintlichen Täter konfrontieren, oder eine Strafanzeige stellen, nehmen Sie vorher unbedingt Kontakt zu einer Fachstelle auf.

Lassen Sie sich ebenso zum Umgang mit einem betroffenen Kind beraten:

  • in unserer Beratungsstelle (06232 - 2 88 33)
  • oder beim Kinderschutzdienst Speyer (06232 - 87 25 120; 06232 - 87 25 112)